NACHGEFRAGT

Gerechtigkeit hat für mich viel mit Menschlichkeit zu tun, Menschlichkeit in seiner schönsten Bedeutung.

IM GESPRÄCH MIT DER AUTORIN

Liebe Verena, „Der König, der alles hatte“ bzw. das „Schachteldrama“, wie du das Stück betitelt hast, ist im Rahmen des Retzhofer Dramapreises 2021 entstanden, der ja eine Kombination aus Workshops und Wettbewerb ist – wie hast du diesen regelmäßigen Austausch erlebt? Inwiefern hatte dieser Einfluss auf deinen Schreibprozess?

Der Austausch war für mich sehr wichtig und inspirierend. Er hat mich dazu gebracht, vieles anders bzw. neu zu denken, mutiger und gleichzeitig präziser zu sein in der Behauptung und auch in Bezug auf das Publikum. Das Stück wäre in vielen Punkten ein anderes geworden.

Ich erinnere mich, dass du ursprünglich eine Erzählung um diesen König geschrieben hattest, die dann quasi die Basis für dein Theaterstück war. Wie bist du auf die Idee gekommen, diese Geschichte zu schreiben? Gab es einen konkreten Ausgangpunkt? (ein Erlebnis, ein Ereignis, ein Thema, …)

Ursprünglich war das Stück eine Geschichte im Rahmen eines Wettbewerbs für Kindergeschichten zum Thema »Was ist gerecht?« Mich hat diese Frage sehr gereizt, weil sie im Gegensatz zu der häufig gestellten Frage »Ist das gerecht?« auf den Ursprung abzielt. Es ist eine wirklich große Frage und eine, über die wir oft stolpern. Gibt es etwas, wie »die Gerechtigkeit« oder ist es ein gesellschaftliches Konstrukt, ein kleinster gemeinsamer Nenner, an dem wir unsere Werte und Gesetze ausrichten.

Wie würdest du (einem Kind) Gerechtigkeit erklären? Bzw. was ist Gerechtigkeit für dich?

»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andren zu.« Mit diesem Satz kann ich mich und das, was ich tue in vielen Situationen gut überprüfen. Gerechtigkeit hat für mich viel mit Menschlichkeit zu tun, Menschlichkeit in seiner schönsten Bedeutung. Ich glaube an etwas unverrückbar Gutes im Menschen und wann immer etwas passiert, was damit im Einklang ist, ist es gerecht.

All deine Figuren, auch der egomane Schachtel-König, sind mit viel Herz und Sympathie gezeichnet – vielleicht könntest du kurz beschreiben, was sie für dich auszeichnet bzw. wofür sie (ein-)stehen?

Die einzelnen Figuren sind überzeichnete Eigenschaften oder Impulse, die wahrscheinlich jede:r in der ein oder anderen Form an sich selber erlebt hat.

Die Schachtel hat vor allem Angst. Angst, nicht genug zu sein, Angst vor Zurückweisungen, Angst, dass es nicht reichen könnte, Angst, nicht dazu gehören.

Törtchen will so gern, dass es gut wird und trotzdem geht alles nach hinten los. Törtchen liebt die Schachtel und sehnt sich nach dem Tag, an dem es vielleicht etwas davon zurückbekommt. Aber solange alle sind, wie sie sind, kann es sich nicht erfüllen.

Die Clowns schlagen Profit aus der Not der Schachtel in zunehmender Dreistigkeit. Der erste Clown ist eventuell noch selber von seiner Quacksalberei überzeugt, nicht minder gefährlich, aber noch am ehesten zu entschuldigen. Dem zweiten geht es nur ums Geld und der dritte will alles. Er ist der mephistohafte Seelenfänger und gleichzeitig ist es für ihn nur ein Spiel, eine Prüfung.

Der Gast ist das Bewusstsein, das Gewissen, das Kind in uns, das Fragen stellt.

Im Stück spielt Humor auf den unterschiedlichsten Ebenen eine große Rolle, durch Wortwitze, Sprachspiele, Slapstick, Absurditäten verliert es trotz großer Themen und teils existenzialistischer Krisen nie an Leichtigkeit. Ist dir das beim Schreiben/Arbeiten generell wichtig? Inwiefern?

Unbedingt! Alle Gefühle sind wichtig und trotzdem halte ich es für unerlässlich, sich aus der Starre zu lösen, in den einen Angst und Traurigkeit manchmal verharren lassen. Wir können die Dinge oft nicht ändern, aber unsere Haltung dazu.

In den dunkelsten Momenten über etwas lachen zu können oder eine Schönheit zu entdecken, kann mir eine Größe geben, die es mir möglich macht, den widrigsten Umständen Sinnhaftigkeit zu geben.

Gibt es etwas, das man – wenn alles schon nicht geht – haben sollte?

Schokopudding. Schokopudding IST eine Lösung.

IM GESPRÄCH MIT DER REGISSEURIN


Wie würdest du die Welt, in der sich Schachtel&Co bewegen, beschreiben?

Schachtel&Co haben sich in ihrer Welt und in ihren Rollen eingerichtet. Sie sind gefangen in einem System, dass auf Besitz aufgebaut ist und aus Abhängigkeiten besteht, ohne dabei zu sehen, was wirklich wichtig ist. Es ist eine Welt, in der es keine Gerechtigkeit gibt, sondern die im Gegenteil immer wildere Auswüchse und Betrügereien hervorbringt – bis ein Gast von Außen für Veränderung sorgt.

Welche Rolle spielt darin der Musiker/die Musik?

Der Musiker ist Teil des Systems, ein Angestellter der Schachtel, Teil des Königreichs. Irgendwie aber auch ein Überbleibsel – wer weiß, ob neben Schachtel, Törtchen und Musiker überhaupt noch jemand im Schloss ist?! Die Musik hat einerseits dem Willen der Schachtel zu folgen, was aber auch für viele lustige Momente sorgt – andererseits haben wir versucht, einen königlich-modernen Märchensound zu kreieren. Außerdem hat jede Figur eine Art Motiv – einen Signature-Sound quasi. Reinhard Ziegerhofer spielt alle Instrumente (Gitarre, Kontrabass, Melodika) live.

IM GESPRÄCH MIT DER AUSSTATTERIN

Wie stellt man „alles“ auf der Bühne dar? Was war die Überlegung zu diesem Bühnenkonzept?

„Alles“ ist für jede und für jeden etwas anderes. Für unseren König sind es karierte Kissen, die sich kaum voneinander unterscheiden und viel Platz einnehmen. Ein kleines rotes Kissen ist auch in seinem Besitz und am Ende ist es für ihn ausreichend, nur dieses eine besondere zu haben und es mit Törtchen zu teilen.

Was hat es mit den Kostümen von Schachtel und Törtchen auf sich?

König und Törtchen sind voneinander abhängig und das spiegelt sich auch in ihren Kostümen wider. Die Farben und Stoffe passen zueinander und beide tragen eine Kopfbedeckung. Mir macht es immer besonders viel Spaß, Kostüme fantasievoll, aber nicht zu eindeutig zu gestalten, damit noch Platz für eigene Interpretationen und Gedanken bleibt.

Die Fragen stellte die Dramaturgin Dagmar Stehring.

EIN TIPP zum Vorfreuen und Nachhören:
In der neuesten Podcast-Folge des EXTRA-HÖR-STOFFs lesen Mitglieder des Ensembles eine Szene aus dem Stück.