NACHGEFRAGT BEI ANDRA UND MANFREDI SIRAGUSA

„DIE PUPPEN SIND JA KEINE DEKORATION, SIE MÜSSEN JA ARBEITEN!“

IM GESPRÄCH MIT PUPPENBAUERIN

Liebe Andra, du hast beim Stück „Frida und der NeinJa-Ritter“ die Puppen gestaltet. Wie gehst du an diesen Prozess heran?
Nachdem wir, Manfredi und ich, das Stück gelesen haben, trafen wir uns zuerst mit Alexia Redl (Bühne und Kostüme) und Max Achatz (Regie) um über deren Ideen, Wünsche, Vorstellungen zu sprechen und auch um die bühnentechnischen Rahmenbedingungen zu klären. Wir stellten einige Puppenarten und ihre Spielmöglichkeiten vor. Die Wahl fiel dann auf große Klappmaulfiguren, übergroße Hände und ein ebenso großer Mund für den Groll. Dann war es wichtig auszuprobieren und zu überlegen, wie groß die Puppen für die Bühne sein müssen damit sie wirken, aber gleichzeitig auch spielbar sind. Während des ganzen Prozesses war ich mit Alexia in Verbindung, wir haben viel telefoniert, Fotos von Ideen und fertigen Teilen ausgetauscht und über Farben und Formen gesprochen.

Ich habe mit Händen und Füßen für das Geburtstagskind in der Torte angefangen. Schnitte gezeichnet, Materialien ausgewählt. Dabei war wichtig, dass die Perspektive und die Größenverhältnisse von Körper, Torte und Kopf stimmig sind. Für den Mund und die Hände vom Groll habe ich zuerst kleine Modelle gebaut und dann wieder gezeichnet, Schnittproben gemacht und diese dann vergrößert und nachgebaut. Viel getüftelt, geklebt, gewartet, getrocknet, gemalt – es sind immer viele Arbeitsschritte notwendig. Von der „Königin der Weißheit“ und ihrem König habe ich mir nach dem Lesen ein Bild gemacht, überlegt welchen Ausdruck sie bekommen könnten und sie zuerst gezeichnet.  Dann an Materialien gedacht und sie besorgt, und darauf geachtet, dass sie möglichst leicht bleiben und die Spieler:innen bei schnellen Umzügen komfortabel hineinschlüpfen können.

Mit welchen Materialien stellst du die Puppen her? Womit arbeitest du da am liebsten? Wie lange dauerte z. B. der Anfertigungsprozess der „Königin der Weißheit“?
Ich arbeite sehr gern mit Ton beim Modellieren und Pappmaché zum drüber kaschieren oder mit Latex. Mit Holz, Draht, Gummi um Konstruktionen herzustellen z. B für Hände, Gelenke. Viel natürlich mit verschiedenen Stoffen, die man nähen oder anders verarbeiten kann und auch mit Schaumstoff und Patex.
Die Arbeit an der Königin und dem König hat insgesamt so an die drei Wochen gedauert. 

Probierst du die Puppen selber aus, sprichst du mit ihnen vor dem Spiegel oder wie dürfen wir uns das vorstellen? Wie weißt du ,ob die Puppe auch „funktioniert“ bzw. das erfüllt, was du möchtest?
Ja, dauernd! So bald etwas zum Anprobieren und Ausprobieren ist, mache ich es sofort und oft. Um zu testen, wie die Figur in die Hand passt und was sie auch aushält. Die Puppen sind ja keine Dekoration, sie müssen ja arbeiten! Viel probiere ich vor dem Spiegel, manchmal mache ich auch Videos. Ich habe zum Glück immer auch die Möglichkeit, Manfredi zu bitten, mir die Puppe vorzuführen – so kann ich noch besser von außen zusehen.

Wenn die Puppe dann in Bewegung kommt, schauen kann, reagiert, die Maßverhältnisse passen, macht es „klick“ oder nicht – plötzlich lebt sie, und der Spieler dahinter verschwindet. Seltsamerweise sind manchmal die Puppen so eigensinnig, dass sie ihre Mankos, die mich zuerst ärgern und die natürlich nicht eingeplant waren, erst recht stark und eigensinnig wirken lassen und manchmal sind diese Mankos auch das bestimmte Etwas, ein Kennzeichen, das beim Spielen zum Charakter der Puppe wird.

Wann beginnt die Puppe für dich an „zu leben“? Wo ist der Moment des Lebendig-Werdens? Kannst du den beschreiben?
Wenn sie die Augen bekommt, das sagen viele Puppenbauer, dann fängt die Puppe an zu leben. Die Augen sind etwas Menschliches, etwas Archaisches. Von den Augen lesen wir ja auch was ab, wir treten über sie in Kontakt, wir kommunizieren. Dann natürlich, wie vorher beschrieben, werden sie lebendig durch gezielte Bewegung, Atem, Raum, Tempo. Auch wenn die Puppen – sobald man sie wieder aus der Hand gibt – eigentlich Material und „tot“ sind. 

Welches Verhältnis hast du zu deinen fertigen Werken?
Ich habe eine starke Verbindung zu ihnen. Mit manchen Puppen spielen wir viele Jahre und sie sind wie ein Teil der Kompanie. Also werden sie auch so behandelt, damit sie es lange schaffen. Meistens haben sie eine Rolle im Leben und wechseln nicht von einem Stück zum anderen.

Ich vergesse irgendwie, wie ich sie gebaut habe und muss dann nachschauen, wenn jemand fragt. Meine Puppen haben, so sage ich, wenn ich sie für jemand anderes baue, lebenslange Garantie, aber es ist bis jetzt noch keine in die Werkstatt zurückgekehrt.

IM GESPRÄCH MIT PUPPENCOACH & -SPIELER

Lieber Manfredi, du hast nach der Fertigung der Puppen für das Stück den nächsten Schritt übernommen, das Puppencoaching. Wo liegen für dich die Stärken der Puppe auf der Bühne?
Die Puppe kann auf der Bühne andere Sachen machen als ein Schauspieler. Es gibt einen guten Spruch, der sagt: „Puppen sterben besser“ – und das ist sicher so. Aber nicht nur sterben. Eine Puppe kann auf verschiedene Weise erzählen – direkt zum Zuschauer, im Dialog mit dem Spieler oder durch den Spieler – es ergeben sich spannende Spielebenen. Eine Puppe kann winzig oder riesig sein, fliegen, Gliedmaßen verlängern, Augen ausfallen lassen – also physische oder logische Grenzen und Gegebenheiten überschreiten.

Die Puppe kann auch das sagen, was der Mensch sich nicht zu sagen traut, weil sie „nur“ eine Puppe ist. Deswegen ist der Kasperl in seiner ursprünglichen Form ein Rebell gewesen und kein Pädagoge.

Man könnte sagen, dass jede Puppe ihren eigenen Sprachjargon, ihren eigenen Ausdruck, ihre Zeichen besitzt. Wie findest du diese Eigenheiten jeder einzelnen Puppe?
Bei der Charakter- und Stimmfindung helfen die anatomischen Merkmale und Charakteristika wie etwas eine (große) Nase, ein (starkes) Kinn oder die (dicke oder dünne, große oder kleine) Statur der Puppe. Die Puppe lebt, wenn sie in Aktion tritt. Wenn sie steht und lange Monologe hält, wird es schnell langweilig und man fragt sich, warum eine Puppe und nicht ein Schauspieler diesen Part übernimmt. Beim Spiel kommt es auf das Verhältnis von Raum, Atem und Tempo an, damit eine Puppe oder Maske lebt.

Was bringst du den Schauspieler:innen, die mit euren Puppen arbeiten, als erstes bei? Am Anfang ist es wichtig zu erleben, dass man nicht zu viel mit der Puppe machen muss, im Sinne von zu viel Bewegung, sondern erst mal lernt, die Welt mit der Puppe zu sehen und durch sie zu agieren. Durchzuhalten, wenn die Puppenführung anstrengend ist und Akzente setzen, die wirken. Diese Arbeit ist aber mit jeder neuen Puppe notwendig und das jeweilige Repertoire wird durch die Proben größer, weil man im Tun vieles entdeckt.

Und nun noch eine Frage an euch beide: Wo lagen im Prozess der Herstellung und des Coachings die Punkte, an denen ihr unbedingt gemeinsam entwickelt, zusammengearbeitet und überlegt habt oder ist diese Arbeit prinzipiell eine gemeinsame, an der man ständig parallel realisiert und umsetzt?
Es ist sehr gut und wichtig, sich da immer auszutauschen und gegenseitig zu hinterfragen, weil die Arbeitsbereiche sehr ineinanderfließen. Die Arbeit ist eine gemeinsame und zum Glück für uns beide jedes Mal eine spannende Nuss, die wir zu knacken haben.

Das Interview führte Dramaturgin Tanja Peball anlässlich der UA im September 2024.